OPEN
ACCESS
Cover Loci communes und Tabulaturen des 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum

Kateryna Schöning: Loci communes und Tabulaturen des 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum, Wien: Hollitzer Verlag, 2025 (Wiener Forum für ältere Musikgeschichte, Band 16), 844 S., 17 x 24 cm, Deutsch, Hardcover, mit Abbildungen

ISBN 978-3-99094-610-7 (hbk) € 99,00
ISBN 978-3-99094-611-4 (pdf) Open Access

Download Cover
Kateryna Schöning

Loci communes und Tabulaturen des 16. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum

Loci communes oder „Gemeinplätze" waren laut Erasmus von Rotterdam im 16. Jahrhundert zentrale Werkzeuge des kognitiven Denkens sowie unverzichtbare Lern- und Lehrhilfe in allen Bereichen des Lebens, also auch in der Musik. Dieser Band gibt einen tiefen Einblick in die Tabulatursammlungen des 16. Jahrhunderts. Die untersuchten Tabulaturen beinhalten zwecks moralischer Erziehung verschiedenste miteinander verwobene Musik- und Texteinträge zu allen möglichen Themen wie Tugend, Gott, Sünde, Frauen, Narrheit oder Vergänglichkeit. Kateryna Schöning zeigt, wie die Instrumentalmusik in die ästhetisch-sinnliche Erfassung der Welt und die frühe Enzyklopädik eingebettet war, wie die Instrumental-Praxis beim Sammeln, Bearbeiten und Kompilieren der Text-Praxis nahestand, wie die Text-Praxis ihrerseits die Improvisation und das Intavolieren beeinflusste und welche Auswirkung sie auf die musikalische Didaktik sowie außermusikalische Medien mit Musik wie libri amicorum hatte.

Loci communes (also ‘common places’, or quotations and text excerpts on all topics), according to Erasmus of Rotterdam, were a central instrument of cognitive thinking in the 16th century and an indispensable learning and teaching tool in all areas of life, including music. The book provides an innovative insight into 16th-century tablature collections. Just like diaries, the tablatures examined here contain a wide variety of interwoven musical and textual entries on all kinds of topics such as virtue, God, sin, women, folly and vanitas for the purpose of moral education. Kateryna Schöning shows how instrumental music was embedded in the aesthetic and sensual perception of the world and the early encyclopaedistics, how instrumental technique in collecting, editing and compiling was technically close to textual practice, and how textual practice in turn affected improvisation and intabulation, what effect it had on musical didactics and how it influenced other media with music, such as libri amicorum.

Informationen zur Reihe Wiener Forum für ältere Musikgeschichte

INHALT

Einführung und Dank

I Zupfinstrumente in Wort und Bild im 16. Jahrhundert.
Symbolik, Ästhetik, Räumlichkeiten


    I.1 Sünden, Erotika und edle Freunde. Vom „sündigen“
        „seytenspiel“ im Theater bis zum Topos „Bündnis“
        in frühen alba amicorum

        Das „sündige“ Tanzen | Die Laster der Erotika und des Rausches
        versus christliche Erkenntnis | Sozialisierung der „Sünde“
        und erlaubtes Liebesbündnis – Ambivalenz der Darstellung | Dichotomien
        in Emblemata- und Stammbüchern

I.2 Saitenspiel als Spiegelung der „Himmelsharmonie“ im Bürgertum

     Von Gott zu Mensch – poetische Perspektiven | Sozialer Spiegel
     und allgegenwärtige Sünde

I.3 Errungenschaften des Humanismus: sinnliches
     Urteilsvermögen, Bildung und Beruf. Humanistische foedera

     Tugend der Bildung und der Arbeit. „Frau Musica“
     in ambivalenten Darstellungen | Das bildliche Programm
     Hans Judenkünigs | Das Kennzeichen des Könnens.
     Die Netzwerke der Humanisten

II Grundlagen der loci communes in den Tabulaturen:
Konzepte des Wissens – Konzepte des Produzierens


II.1 Loci communes, Enzyklopädik und Instrumentalmusik.
      Handschriftliche Tabulaturen und Systematik im Laufe
      des 16. Jahrhunderts

II.2 Topisches Weltbild und literarische Quellenlage in den Tabulaturen

      Tabulatur und Enzyklopädie | Zwischen Gott und Narr.
      Tabulatur und Konfession: Die Tabulaturen des Basler-Züricher
      Raums (1550er Jahre–ca. 1619) | Rezeption, Nachahmung und andere
      Lösungen topischer Konzeption: Tabulaturen deutscher Ost- und
      Nord-Gebiete (1550er Jahre–ca. 1617) | Literarische Bezüge
      in Tabulaturen vor 1550 und nach 1600. Die Dichotomie
      das „Göttliche“ – das „Alltägliche“ bei Pastor Petrus Fabricius
      und dem Jesuiten Jacobus Apfell

II.3 Sammelhandschriften als „offene Texte“: „Der Leser möge
      korrigieren, falls der Schreiber geirrt habe…“. Schreiber der
      Texte – Schreiber der Musik

      Methodische Prolegomena I | Das Schreiben von Wurstisens und
      der Krakauer Tabulatur | Das Schreiben von Iselins Tabulatur1,
      der Tabvlatvr vf die Lvten, des Arpin-Codex und von Strialius’
      Tabulatur | Das Schreibverfahren in Manuskriptgruppen:
      Tabvlatvr vf die Lvten und D-KA Don Mus.Autogr. 1. Tabulaturen des
      Wiener Raums

II.4 Humanistische amicitia

      Die „unsichtbare“ und die „sichtbare“ Gemeinschaft. Verfasser
      der Tabulaturen. Tabulaturtypen | Amicitia und einige materielle
      Formen der Tabulaturen. Wege zum liber amicorum | Amicitia und
      instrumentales Lehrbuch

III. Topische und semantische Konstrukte der loci communes
      in den Tabulaturen. Die Spezifizierung von loci communes philosophici

III.1 Methodische Prolegomena II

III.2 Topische Konstanten

      „Gesellen“ – „Gott“. „Gott“ – „Sünde“ | „Gesellen“ –
      „Narrheit“ | „Tugend“ – „Musik“ | „Gesellen“ – „Musik“ |
      „Gesellen“ – „Frauen“. „Liebe“ – „Sünde“ | „Gesellen“ –
      „Obrigkeit“ | Andere moralische Topoi | Zusammenfassung |
      Retrospektive in die Vorformen und Perspektive auf die
      weitere Entwicklung topischer Konstanten. Die Braunsberg-
      Olivaer Orgeltabulatur (1610–ca. 1630) und Fabricius’ Tabulatur (1605–1615)

III.3 „Unsichtbares“ Konzept oder „individuelle“ Lösungen?

      Die Schlüsselfrage der Tugend | Rhetorik des Werdens und
      Vergehens | Wie Emanuel Wurstisen das Tabulaturbuch „fleyssig
      zesammen gelásenn“

IV. Loci-communes-Techniken in der Instrumentalmusik

IV.1 Methodische Prolegomena III

IV.2 Das originalgetreue Intavolieren. Die Arbeit mit dem Text

      Theoretische Ansätze, praktische Unterweisung und Realisierung |
      Das Intavolieren und die Semantik des Textes. Das Intavolieren
      als intertextueller Dialog

IV.3 „Lehre für den Amicus“: Loci-communes-Techniken im Text
      und in der Musik

      Grundsätze: Loci communes auswählen, ordnen und bearbeiten |
      Metrische exercitia als ein Aspekt der variatio. Metrik oder Freiheit?
      Praxis und handschriftliche Überlieferung | Loci communes und
      Aspekte der rhetorischen compositio. Das freie Intavolieren.
      Priamel und ihre Varianten in der Literatur und in der Musik

IV.4 Ex-tempore-Praxis in der Schrift. Tabulatur-Notat als
      Reflexionsmedium. Fallstudien anhand von Drucken
      und Handschriften aus den 1530er und 1540er Jahren

      Memory-Notat und Abschrift | Italienische ex-tempore-Praktiken
      in Manuskripten des deutschsprachigen Raums

V. Tabulaturen und neue Medien im 16. Jahrhundert

V.1 Das instrumentale humanistische Lehrbuch

      Hans Judenkünig und das humanistische Lehrbuch.
      Loci-communes-Praxis und Diagrammatik in seinem Umfeld |
      Ein Rätsel: Die 21 Hände der Krakauer Tabulatur |
      Die Leipziger Harfentabulatur (ca. 1540) als Lehrbuch und Übungsheft

V.2 Libri amicorum, Stammbücher und Tabulaturen

      Quellen, Stand der Forschung und methodische Problematik |
      Stammbücher mit Tabulaturteilen: Das verlorene Stammbuch
      des Burggrafen Achatius zu Dohna (1550–1552) und das Stammbuch
      des Bernhard Schenckinck (1561–1585) | Lautentabulaturen mit
      Elementen des Stammbuches

Schlusswort

A Hinweise zur Benutzung
    A.I Abkürzungen
    A.II Erläuterung zur Übertragung der originalen Texte sowie der Tabulatur- und Mensuralnotation
    A.III Eingehend untersuchte und oft erwähnte Tabulaturen, Handschriften und Drucke

B Musik und Text
B.I Hans Judenkünig, Vtilis et compendiaria introductio.
      Wien: Johann Singriener [1523], fols. 1v–2r.
      Abschrift und Übersetzung ins Deutsche
B.II Indexe der Musikeinträge und Beitexte
      B.II.1 Wurstisens Tabulatur
      B.II.2 Iselins Tabulatur1 und Tabulatur2
      B.II.3 Tabvlatvr vf die Lvten
      B.II.4 Arpin-Codex
      B.II.5 Strialius’ Tabulatur
      B.II.6 D-KA Don Mus.Autogr. I
      B.II.7 Braunsberg-Olivaer Tabulatur
      B.II.8 Krakauer Tabulatur
      B.II.9 Topoi-Schemata der Krakauer Tabulatur
      B.II.10 Topoi-Schemata der Tabvlatvr vf die Lvten
      B.II.11 Topoi-Schemata in Wurstisens Tabulatur
                 (Buch I, II, III, IV und VIII)
B.III Übersicht der Stammbücher mit Musikeinträgen
      B.III.1 Übersicht der Noten- und Tabulatureinträge
                in den Stammbüchern des deutschsprachigen Raums (ca. 1470–ca. 1620)
      B.III.2 Gesamtübersicht der Text- und Musikeinträge
                im Stammbuch des Burggrafen Achatius zu Dohna
               (RUS-KA Gen 2.150), 1550–1552
      B.III.3 Gesamtübersicht der Text- und Musikeinträge
                 im Stammbuch des Bernhard Schenckinck
                 (D-MÜwl Ms 439), 1561–1585

C Varia: Index der Harfentabulatur und der Präludien bei Gerle und Newsidler
      C.I Index von D-LEm I. 8° 191, Leipziger Harfentabulatur (ca. 1540)
      C.II Das Präludium in den Drucken von Gerle und Newsidler

D Größere Faksimile- und Notenbeispiele
      D.I D-Mbs, Mus.ms. 267, [ohne Titel], fols. 48v–49r
      D.II D-Mbs, Mus.ms. 1511c, Motette „Aspice domine“, fols. 1r–6v
      D.III PL-Kj Mus.ms. 40154 (Hungersperger Tabulatur),
         [ohne Titel], fols. 21v3-4 und 30v1-5

Verzeichnisse
      Abbildungen
      Notenbeispiele
      Schemata und Tabellen
      Bibliographische Abkürzungen

Literatur
      Primärquellen (bis ca. 1620)
      Sekundärliteratur (nach 1620) und Editionen

Register
      Personen
      Musiktitel und Textincipits (Musik)
      In den Tabulaturen zitierte literarische Quellen